Circus Knie 2021 - Tournee mit Bastian Baker
Fotos und ein ausführlicher Bericht zum Programm des Circus Knie 2021 - Tournee mit Bastian Baker
-> Zum Bericht
Zurück zur Normalität, mit Altvertrautem und Neuem
Der Circus Knie startete seine 102. Tournee mit einer besonderen Überraschung
Als ob Apostel Petrus selber an der Planung beteiligt gewesen wäre heisst es am Donnerstag, 29. Juli, nach andauernden Regengüssen in den Tagen zuvor, auch wettermässig «Vorhang auf». Die Premiere des Circus Knie bei sommerlicher Hitze zu erleben ist ein neues Gefühl für die anwesenden Gäste, unter ihnen zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und auch ehemalige Knie-Artisten. Für das Unternehmen selber bedeutet es zum zweiten Mal in Folge ein Corona-bedingter Kompromiss, allerdings ein sehr gut gelungener. Den offiziellen Vorschriften entsprechend erhalten diejenigen Besucher Einlass, welche getestet, genesen oder geimpft sind und dies mittels Covid-Zertifikat – ab 16-jährig – belegen und einen amtlichen Ausweis vorzeigen, wobei bei der Kontrolle keine Daten gespeichert werden. Für das bestandene Eingangsprozedere wird man schliesslich auf dem Circusgelände und im inzwischen vollständig stützenfreien Chapiteau belohnt, nämlich mit altvertrauter Normalität – übliche Sitzbelegung, keine Maskenpflicht. Auch bezüglich Programmkonzept fand Knie wiederum eine Lösung, welche der notwendigen Flexibilität gerecht wird. Ein Hauptprogramm erstreckt sich gewissermassen über die beiden verkürzten Tourneen 2020/21, mit teilweise gleichbleibenden Attraktionen, worunter auch die besonders nervenkitzelnden. Dennoch ist der Circus Knie – und dies gehört schliesslich zu seinen Markenzeichen – immer wieder für eine innovative Überraschung gut. Erstmals ist ein Sänger und Songwriter der Headliner der Vorstellung, der international bekannte Westschweizer Bastian Baker. Als bisheriger Höhepunkt seiner steilen Karriere war er 2018 auf Welttournee mit dem kanadischen Superstar Shania Twain. Mit seiner Stimme und Gitarre gewinnt Bastian gleich ab dem ersten Moment, in guter Gesellschaft des Ensembles des ukrainischen Circus-Theater Bingo, die Herzen des Knie-Publikums. Wie sehr sich dieses nach einer Circusshow in entspanntem und restriktionsfreiem Ambiente gesehnt hat wird offensichtlich nach den tollkühnen Sprüngen der schweizweit einmaligen Mad Flying Bikers. Mit ihren Motorrädern fliegen sie in atemberaubenden Varianten quer über die Manege bis knapp unter das angehobene Podest mit dem Live-Orchester von Ruslan Fil. Die Begeisterung entlädt sich in tosendem Applaus mit Standing Ovation, was sich auch bei anschliessenden Nummern wiederholt. Im Hochzeitskostüm und auf Einrädern erscheint das Duo Full House mit Henry Camus und Gaby Schmutz. Deren Multitalente, unter anderem Jonglage und vierhändiges Klavierspiel in ungewöhnlicher Pose, gibt das Ehepaar in mehreren sehr unterhaltsamen Action-Comedy Auftritten preis. Unterschiede in Herkunft und Sprache – Henry, die «Nervensäge», stammt aus New York und Gaby, in der eher strengen «Weissclown-Rolle», aus Effretikon bei Zürich – werden ebenso auf die Schippe genommen wie Alltäglichkeiten des Ehelebens. Für die Gastspielorte in der Westschweiz werden sie durch Peter Shub, seinerseits Comedian und seit fast dreissig Jahren Protagonist der modernen Clownerie, abgelöst werden.
Klassisch circensisch, schlicht inszeniert und artistisch herausfordernd ist die abwechselnd in die Vertikale und Horizontale sich entfaltende Boden- und 3-Mann Hoch-Akrobatik der Gebrüder Maycol, Guido und Wioris Errani. Die hauseigene Nummer findet auch dieses Jahr wieder grossen Anklang und ist ein sicherer Wert im Programm. Traditionell als Kunstform und zeitgenössisch punkto technischem Schliff und Showeffekt führt das Duo Double Risk mit Priscilla und Marco sowohl verschiedene Pfeilschüsse mit der Armbrust als auch Messerwurf auf die rotierende Scheibe vor.
Immer wieder von Neuem ein Hochgenuss sind natürlich die preisgekrönten Pferdedarbietungen, die Juwele der Circus Knie-Programme. Es sei hier nochmals erwähnt, dass Fredy Knie Junior letztes Jahr, im Anschluss an die 100 Jahre Jubiläumssaison, anlässlich des 44. Circusfestivals von Monte-Carlo die Ehrungen von Prinzessin Stéphanie für sein Lebenswerk entgegennehmen durfte. Für die jüngsten beiden Generationen gab es damals Gold, sowie beim «New Generation» Nachwuchsfestival den «Junior d’Or» und Spezialpreise. Die Youngsters der Familie wachsen nun heran, werden allmählich routinierter und vereinnahmen die Gemüter der Zuschauenden jedes Jahr etwas mehr. Gemeint ist vor allem die zehnjährige Chanel Marie mit ihrer Ponydressur, unter anderem in Kombination mit den weissen Tauben auf den grossen Ringen. Wie ein Prinz aus dem Märchenbuch wirkt Ivan Frédéric Knie in der Manege, elegant, edel und brillant die klassische Hohe Schule vorführend. Mit Maycol Errani ist ein wahrer Pferdeflüsterer am Werk. Durch seine Ruhe und sein Einfühlungsvermögen scheint er das vollste Vertrauen der sechs von ihm vorgeführten Friesen zu haben. Zudem ist er für die äusserst anspruchsvolle Technik im Chapiteau verantwortlich. Um die aktuellen Darbietungen zu ermöglichen waren mehrere bauliche und sicherheitstechnische Anpassungen notwendig. Die seit 2020 eingesetzte 3 Tonnen schwere Bühne, welche bis unter die 15 Meter hohe Kuppel hochgezogen werden kann, enthält alle Einrichtungen für Spezialeffekte wie Wasserfontänen und sogar die erstmals in einem Schweizer Circus vorgeführten Feuereffekte im Wasser.
Als zusätzliche Überraschung reitet Bastian Baker auf dem Hengst Poseidon singend in der Manege, um anschliessend mit einem Song-Refrain das Publikum zu animieren. Man darf annehmen, dass das eine oder andere Mitglied seiner grossen Fangemeinde in den kommenden Monaten einen (Neu-)Zugang zum Circus findet. Wie sehr sich der versierte Stimmungsmacher, für den auch eine Karriere als Eishockeyspieler wie sein Vater in Frage kam, mit dem Circus identifiziert, beweist er auch mit einer anderen artistischen Einlage. Bei einem romantisch inszenierten Auftritt zusammen mit der graziösen Strapatenkünstlerin Katerina Abakarova lässt er sich von ihr nach oben «entführen». Das Knie-Programm bietet insgesamt ein paar beeindruckende Attraktionen in der Höhe, so auch eine weitere Strapatendarbietung, kunstvoll und energisch vorgeführt durch das russisch-ukrainische Duo Flash of Splash mit Amaliia Avanesian und Yevgen Abakumov. Gewagte Formationen inklusive Zahnhänge zeichnen die Nummer aus.
Die zweite Programmhälfte beginnt mit den Gerlings aus Kolumbien auf dem Hochseil. Diese Weltklasse-Truppe und vor allem ihr Schlussbouqet mit der Überquerung durch sieben Artisten als dreistöckige Pyramide elf Meter über der Manege sind eine circensische Sensation. Dasselbe Attribut darf man auch dem leidenschaftlichen Hand-auf-Hand Auftritt des Duo Flame mit den ehemaligen Spitzensportlern Vladyslav Ivashkin und Aiusha Khadzh Khamed zuteilen. Die Nässe des Sprühregens verleiht dem von Bastians Stimme begleiteten Akt zugleich Dramatik und Romantik und erhöht den ohnehin beachtlichen Schwierigkeitsgrad zusätzlich. Wie begonnen so endet das Programm mit einer grossen Portion Action, im Globe of Speed, der Stahlkugel mit nur 6 Metern Durchmesser. Die zehnköpfige Motorradtruppe aus Südamerika macht darin das scheinbar Unmögliche möglich, nämlich mit bis zu 70 km/h aneinander vorbei Runden zu drehen.
Auch das bunte und feierliche Finale mit allen Mitwirkenden wird umrahmt von Bastian Bakers vorgetragenem, eigens für Knie geschriebenen Song «Circus» und wird natürlich von den Anwesenden mit langem, kräftigem Applaus und nochmals Standing Ovation quittiert. Direktorin Géraldine Knie bringt es bei ihrem Dank und Abschiedsgruss an das Publikum auf den Punkt: «Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr wir Sie vermisst haben…». Die Befindlichkeit ist gegenseitig.
Endlich wieder Normalität – zumindest im Circus Knie!
Text: Simon Tschurr Fotos: Barbara Bamberger