".... es fägt" 2021 im Circus Harlekin
Programmbesprechung und fotographische Eindrücke vom Harlekin Programm 2021: "......es fägt!!" oder zu deutsch "....es schrubbt!"
Nach coronabedingter, langer Pause und "Durststrecke"; konnte der Circus Harlekin am 3. Juli 2021 endlich zu seiner Tournée 2021 starten. Ich besuchte das Unternehmen 10 Tage später in Raron. Die enorme Spielfreude der Artistinnen und Artisten wirkte sich von Beginn weg auf die zahlreichen Zuschauer und auf die Stimmung im Chapiteau aus. Zwei Drittel der knapp 600 Plätze durften belegt werden. Leider mussten einige Zuschauer enttäuscht heimkehren, weil die maximal zulässige Personenzahl bereits Karten gelöst hatte. Ein freundschaftliches Wiedersehen gab es mit einigen Artistinnen/Artisten, die sich im wiederholten RE befinden.
Als augenfällige Neuerungen stechen der neu gebaute WC-Wagen und das moderne, helle Buffet auf. Trotz der Wetterkapriolen mit viel Wind und starkem Regen hat sich Raron als sehr guter, aber äusserst arbeitsintensiver, Platz bewährt. Zwei Vorstellungen, Abbau und umgehender Transport nach Blatten an einem Tag ist wahrlich eine Herausforderung für alle Beteiligten.
Nach einem Charivari, eingeleitet von Pierrot Rossi als vom Circus träumender Teenager, startet das artistische Feuerwerk mit einer hervorragenden Darbietung an zwei Chinesischen Masten, ausgeführt von der sechsköpfigen Africa Nova Group aus Aethiopien mit anspruchsvollen Tricks. Sie werden nach gut zwei Stunden ebenso die Schlussnummer, diesmal ergänzt mit einem noch jungen Flieger, mit einmaligen Handvoltigen, den Reigen wieder abschliessen. Beide Auftritte bestechen durch ungewöhnliche und sauber ausgeführte Bilder und Flugelemente und präziser Choreographie. In der Handvoltigen-Arbeit zieht der Flieger seine Sprünge wie auf Schienen – eine wahre Augenweide. A propos Augenweide sei an dieser Stelle erwähnt, dass die Kostüme durchwegs überzeugen und einen grossen Beitrag zum äusserst positiven Gesamtbild der Produktion beitragen. Das gleiche gilt natürlich auch für die Klassemusiker, neu unter der Leitung des Kapellmeisters Ihor (Igor) Talatynnik. Das Sextett begleitet die Künstler*innen mit viel Gefühl und äusserst kompetent. Nach einem kurzen Zwischenspiel von Pierrot Rossi geht es mit vier Kamelen, charmant vorgeführt durch die Direktorentochter Nicole, etwas gemächlicher zu. In der gut einstudierten Freiheitsdressur schreiten die schönen Tiere majestätisch, ruhig durch's Sägemehl und zeigen ihre Laufarbeit mit Parteilaufen und Gegenlauf. Zum Abschluss springt das Lama Surina über zwei am Boden liegende "Wüstenschiffe".
Der Circus Conelli hat seit vielen Jahren seine Haus-Clowns – dasselbe gilt seit ein paar Jahren auch für den Circus Harlekin. Die Familie Rossi gehört schon fast zur Familie und erfreuen das Publikum jedes Jahr mit neuen Entrées, Zwischenspielen und Reprisen. Sie beherrschen nach wie vor viele verschiedene Instrumente. Zum Einsatz kommen u.a. Xylophon, verschiedene Saxophone, Trompeten, Okarina und ein Glockenspiel. Sie beweisen damit ihre Musikalität und Fingerfertigkeit auf den vielen Requisiten. Alina Malko aus Weissrussland überrascht die treuen Harlekin-Besucher jedes Jahr mit neuen Inszenierungen am Boden oder hoch oben unter dem Chapiteau-Himmel. In diesem Jahr hat sie sich den Bungee-Strapaten zugewandt. Das elastische Gerät lässt attraktive Abfaller und Schwünge zu und gemäss Programmheft ist Alina derzeit Europas einzige Frau an den Bungee-Strapaten. Weniger beeindruckt war ich dann von der Folgenummer. Der Zauberkünstler Nick zelebriert einige Zauber-Tricks mit zwei Zahlen-Kolonnen. Dabei ist der Verkauf der Nummer aus meiner subjektiven Wahrnehmung etwas hölzern, laienhaft und ohne viel Ausstrahlung.
Ganz anders dann die Rola-Rola-Arbeit auf einem hohen Podest, ausgeführt durch den Portugiesen Sandro Monteiro. Die Nummer enthält alle gängigen Abläufe einer Rola-Rola, u.a. auch den Handstand auf dem Brett, welches sich auf der Rolle hin und her bewegt. Eine äusserst wacklige Angelegenheit ist der Schlusstrick auf 8 Elementen. Nach diesem Nervenkitzel haben Artisten und Publikum eine Pause verdient.
Der zweite Teil startet traditionsgemäss mit dem vom Circusorchester intonierten und von Tino Aebi komponierten"Circus Harlekin Marsch" – dabei wird mir einmal mehr bewusst, wie wichtig Live-Musik im Circus ist. Als Zweitnummer bringt das Ehepaar Monteiro als Duo Sandro auf einem runden Podest mit ihren Rollschuhen erneut viel Schwung ins Chapiteau.
Auch hier wieder wunderbar passende und futuristisch wirkende Kostüme. Die geschickte Lichtregie fällt mir bei dieser Darbietung besonders auf, obwohl durchs ganze Programm immer wieder spezielle Stimmungen durch das gut geführte Licht kreiert werden. Bei den vielen und temporeichen Tricks, wie Genick-Genick-Hang wird mir bereits beim Zusehen fast schwindlig. Die Clowns Hector und Pierrot, zum Trio ergänzt durch Conçalito, zelebrieren in ihrer Hauptnummer das Tell-Entrée. Die Situationskomik ist zwar gut, in der Gesamtbetrachtung aber doch etwas zu lang geraten, was naturgemäss zu Beginn einer Tournee "normal" ist und während der nächsten Tage optimiert werden kann. Einen Hauch "griechisches Flair" bringt anschliessend Susanne Mani mit ihrer Freiheitsdressur ins Manegenrund. Susanne in weiss-hellblauem, einer griechischen Tracht nachempfundenem Kostüm, begleitet durch dezente, griechische Musikklänge, zeigen ihre sechs Schützlinge (ein weisser Wallach, ein Esel, zwei Ponies, zwei Zwergmulis) eine schöne Laufarbeit, Gegenlauf, das Kompliment und ein Pony einen Steiger.
Nach einem weiteren Zwischenspiel von Pierrot und der schon zu Beginn des Artikels genannten Schlussnummer folgt das Finale mit dem gemeinsamen Singen des äusserst passenden und zur Harlekin Hymne mutierten Schlagers "Wir sind eine grosse Familie" (Ralph Siegel Musik / Kurt Hertha Text).
Harlekin 2021 – es fägt tatsächlich!
Text: Alfred Reichle, Fotos: Natalia Widorski