50 Jahre Cirque Helvetia

Die Direktion des Cirque Helvetia und der CVA-Präsident, Filip Vincenz, haben für Mittwoch, den 5. März 2025 zu einer Presseinformation nach Ecublens, wo der Cirque Helvetia am Freitag, 7. März 2025 zu seiner Jubiläums-Tournée starten wird, eingeladen.

Eine kleine Schar von Journalisten traf sich deshalb vor dem schmucken Familien-Circus, um der von Filip Vincenz geleiteten Information beizuwohnen.

Das Hauptthema galt dem Helvetia-Jubiläum. Von der Familie Maillard waren deshalb Brigitte Maillard und ihr Sohn Julien anwesend. Vor 50 Jahren begann also das Abenteuer und Projekt «Cirque Helvetia», welches dann ein paar Jahre später von einem Journalisten als «bijou du cirque Suisse» bezeichnet wurde. Dieses Attribut wird noch heute vom Cirque Helvetia in der Werbung benutzt.

Doch blicken wir nun vorerst zurück auf die Entstehungsgeschichte des Circus Helvetia:

Daniel Maillard, in Lausanne in einer gutbürgerlichen Familie aufgewachsen, war schon von früher Kindheit, nach einem Circusbesuch, mit dem «Circus-Virus» befallen und sein Ziel war es, einmal einen eigenen Circus zu besitzen. Daniel war ja kein «enfant de la balle» - also nicht in eine Circusfamilie hineingeboren. Trotzdem, oder gerade deshalb verfolgte er sein Ziel hartnäckig. Nach einer «anständigen Lehre» als Bauzeichner war er nicht mehr zu halten. Seine ersten Erfahrungen im Circus machte er im Circus Olympia und im Circus Bühlmann. Im Jahr 1973 erhielt er dann einen Vertrag im Circus NOCK. Ein Jahr danach war die «Arena Helvetia» zum Kauf angeboten worden, resp. was davon nach jahrelanger Einlagerung noch davon übriggeblieben war. Mit seiner damaligen Frau Huguette kaufte Daniel Maillard diese Resten der Arena Helvetia und startete 1975 in die erste Saison. Der Sommer 1975 war sehr heiss und das Publikum strömte nur spärlich in den Circus Helvetia. Nach einer Saison wurde die Reisetätigkeit mit einem Schuldenberg wieder eingestellt. Im Jahr 1978 waren die offenen Rechnungen bezahlt und es konnte ein Neustart gewagt werden. Das «bijou du cirque suisse» war in dieser Saison sehr erfolgreich. Im gleichen Jahr wurde auch bereits die erste Weihnachtsproduktion, damals noch in Lausanne, gestartet. Nach ihrer Ausbildung an der Schule von Anni Fratellini, bewarb sich eine junge Trapezartistin, Brigitte Richard, im Circus Helvetia. Nachdem sich Daniel und Huguette einvernehmlich und freundschaftlich getrennt hatten, übernahm die Artistin Brigitte Richard vermehrt Aufgaben in der Organisation und Administration und so kamen sich Daniel und Brigitte auch persönlich näher. Im Jahre 1984 wurde geheiratet, 1985 kam der Sohn Julien und zwei Jahre später der Sohn David zur Welt. Derzeit ist bereits die dritte Generation, die Söhne Simon und Tristan von Julien und Anais Maillard, am Heranwachsen.

Leider verstarb Daniel Maillard im Jahr 2024 viel zu früh und kann das Jubiläumsjahr nicht mehr miterleben. Eines ist gewiss – er wäre sehr stolz auf seine Familie und das heutige Unternehmen.

Die ganze Historie im Detail können interessierte Leser im Buch «Daniel n’est pas né enfant de la balle» nachgelesen werden. Einige wenige Exemplare sind beim Cirque Helvetia noch verfügbar.

Die Presseinformation

Filip Vincenz begrüsste die anwesenden Medienvertreter und -vertreterinnen zur Informationsveranstaltung und leitete einen freien Talk mit Fragen und Antworten zur Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Circus Helvetia.

Die Frage nach den Erinnerungen im Circus wurden von Mutter Brigitte und Sohn Julien ganz unterschiedlich beantwortet. Brigitte erinnert sich sehr gut an die harte Zeit, in welcher alles neu erlernt werden musste. Auf- und Abbau, Transport und Organisation. Julien erinnert sich, dass er mit dem Vater sehr viel auf dem Traktor mitfahren durfte. Sein erster Auftritt war zusammen mit seiner Mutter Brigitte in einer Taubennummer.

Aus dem Gespräch ging auch hervor, dass Brigitte auch kein «enfant de la balle» war und in Sitten aufgewachsen, eine kaufmännische Lehre absolviert hat und erst danach nach Paris zur Schule von Anni Fratellini gehen konnte. Nach der Ausbildung hätte sie ein kurzes Engagement nach Japan eingehen können. Die Distanz zu den Eltern und dem privaten Umfeld war dann doch etwas gross und so lehnte sie das Japan-Gastspiel ab und bewarb sich im Circus Helvetia. Eine gute und die richtige Entscheidung, wie man heute sicher feststellen darf.

Filip stellte fest, dass von den in der Schweiz noch reisenden Unternehmen der Circus Helvetia der drittälteste Circus in der Schweiz sei. Ein halbes Jahrhundert sei schon eine lange Wegstrecke und biete jedes Jahr neue Herausforderungen, fügt Julien mit einem leichten Schmunzeln ein. Der Circus Helvetia versuche jedes Jahr irgendetwas Neues zu bieten. In diesem Jahr sei der Schwerpunkt auf das Programm gelegt worden, wovon sich die Presseleute im Anschluss an die Information an der Vorpremieren-Vorstellung gleich selbst überzeugen konnten. Die nachhaltigste Neuerung wurde aber in der Corona-Krise initiiert. Julien war schon länger ein Dorn im Auge, dass der Aufbau des Zeltes zu viele Ressourcen bindet und zu lange dauert. Während der Corona-Zeit tüftelte er zusammen mit einem italienischen Zeltbauer ein System aus, bei welchem das ganze Chapiteau auf einen Anhänger gepackt und beim Aufstellen «auseinandergefaltet» werden kann. Den Zeltaufbau können nun theoretisch zwei Personen alleine bewältigen. Damit werden weniger Mitarbeiter benötigt und Einsparungen realisiert. Für die Zukunft hat der umtriebige Direktor weitere Träume. Ihm schwebt ein kleines Chapiteau mit Rundbogen vor. Die Sitzplatzkapazität des jetzigen Zeltes beträgt knapp 200 Plätze, die Wintervariante in Moudon deren 300 Plätze. Diese Grösse soll auch zukünftig in etwa beibehalten bleiben. Auch ein Kultur-Zentrum in der Region Moudon wäre für Julien nicht abwegig.

Hat man sich in der langen Zeit nie Gedanken gemacht, das Geschäft aufzugeben? Brigitte lacht herzhaft und meint «Mehrmals haben wir uns das überlegt, als die Kinder zur Schule gehen mussten, nach schwierigen oder weniger erfolgreichen Saisons». Eine solche Situation bescherte der Familie zweifellos das Experiment mit der Show «Crazy Clinic». Die Idee stammte von Daniel selber und war wohl etwas zu avantgardistisch für die damalige Zeit. Da wurden etwas «sehr spezielle» Abläufe eingefügt. So z.B. wenn einer Puppe die Därme herausoperiert wurden und die Eingeweide in der nachfolgenden Darbietung als Sprungseile benutzt wurden. Rotwein wurde in Infusionsflaschen, Bier in Urin-Flaschen serviert. Das Publikum war von diesen Situationen überrumpelt und überfordert. Deshalb hat man die Notbremse gezogen und die Produktion nach drei Monaten eingestellt.
Die Winterproduktion in Moudon hat sich sehr gut etabliert und ist ein fester Bestandteil in der kulturellen Landschaft rund um Moudon herum. Ist es da nicht riskant und überhaupt sinnvoll, auch im Sommer (bei Hitze und Ferienzeit) zu reisen? Julien überlegt sich die Antwort gut und weist darauf hin, dass Helvetia nicht wie andere Unternehmen über ein festes Winterquartier verfüge. Man suche zwar in der Region Moudon geeignete Lokalitäten, sei aber bisher nicht fündig geworden. Wie’s denn mit Gastspielen im Ausland wäre, will eine Sitzungs-Teilnehmerin wissen. Auch dies sei früher ein Thema gewesen. Allerdings kenne man die Gesetze der benachbarten Länder weniger gut, als die Vorschriften und Gepflogenheiten der Schweiz. Zudem kenne man auf den Ämtern und in den Gemeinden die zuständigen Personen nicht und müsste das gesamte Beziehungsnetz von null auf erarbeiten. Die Anschlussfrage kommt prompt. Wo man sich denn als Familie zu Hause fühle? Überall, wo der Circus steht, die Familie zusammen ist! Die Maillards seien sehr gerne in Moudon, doch im Frühling fahren sie dann gerne wieder weiter und die ganze Familie freut sich auf die Tournée mit vielen Bekannten und Freunden, die immer wieder vorbeischauen. Da stellt sich natürlich auch die Frage nach der Schulbildung der zwei Söhne. Für die beiden ist eine Lehrerin angestellt und nebenbei betätigt sich diese Lehrerin im Programm als Sängerin. Dieses Konzept habe sich schon in der zweiten Generation bewährt. Während Julien und David im Winter die öffentliche Schule besuchten, habe sich gezeigt, dass sie mit dem Stoff weiter waren, als die öffentliche Schule – der Privatunterricht machte sich bezahlt und daran wolle man auch für die eigenen Kinder festhalten. Simon arbeitet bereits in der Manege als Magier und benützt dazu auch Requisiten seines Grossvaters. An der sehr emotionalen Abschiedszeremonie für Daniel haben alle Mitwirkenden sich mit einer Darbietung verabschiedet. Damals hat Simon diese Leidenschaft für sich entdeckt und gedenkt, weiter daran zu arbeiten.

Als letzte Frage erkundigte sich Filip Vincenz, wie sich das Publikum in den 50 Jahren verändert oder entwickelt habe. Der Helvetia weise ein sehr treues Stammpublikum auf. Viele Besucher kommen Jahr für Jahr mindestens einmal ins Programm. Andere entdecken den Circus neu und können so zu neuen Stammgästen werden. Man habe versucht – wie dies in der Deutsch-Schweiz oft gemacht werde – jedes Jahr zur gleichen Zeit die gleichen Orte zu besuchen. Dies habe sich in der Romandie allerdings nicht bewährt. So habe man einen Zwei- oder Dreijahres-Rhythmus eingeführt und dies klappe recht gut.

Die Weichen für eine weiterhin erfolgreiche Zukunft sind für den Cirque Helvetia gestellt – affaire à suivre! Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum und alles Gute für die Zukunft.

Buchbesprechung des Buches «La Suisse un pays des Cirques »

Nach der angeregten und ausführlichen Diskussion zum Jubiläumsjahr des Circus Helvetia, ist die Präsentation des Buches «La Suisse – un pays des Cirques» fast etwas an den Rand gedrängt worden. In der Deutschschweiz ist das von Filip Vincenz in akribischer und aufwändiger Arbeit recherchierte Werk unter dem Titel «Circusland Schweiz – eine Spurensuche» bereits lanciert und nun wurde auch die übersetzte Version in der Romandie den Medien durch den Verleger Emmanuel Vandelle (Verlag Château & Attinger, Orbe) und den Autor Filip Vincenz vorgestellt.
Herr Vandelle bemerkte, dass die Übersetzung sehr gut gelungen sei und der Verkauf derzeit am Anlaufen sei. Filip erklärte den anwesenden Medienleuten, dass der Aufbau des Buches wie bei einem Programmaufbau strukturiert sei. Jedes Kapitel repräsentiert eine Zeit oder ein Genre in der Circus-Geschichte der Schweiz. In der Antike waren in der heutigen Schweiz sieben Amphitheater aktiv. Auch wenn zu diesen Vergnügungsstätten kein direkter Zusammenhang zum heutigen Circus bestehe, wollte der Autor doch aufzeigen, dass damit die Unterhaltung für ALLE Bevölkerungsschichten der Gesellschaft begann, in der Folge weiterentwickelt wurde und schliesslich in den diversen Circussen gipfelte. Zwischen den Gauklern und den Menagerien habe es eine Symbiose gegeben. Die Besucher hatten in den Menagerien erstmals die Gelegenheit, exotische Tiere wie Elefanten, Tiger, Löwen in Natura zu sehen. Die Gaukler haben sich mit diesen Menagerien vermischt und ein Programm entstand. Herr Vandelle fügte auch anerkennend an, dass es bisher kein vergleichbares Buch über den Circus in der Schweiz gebe. Die Vielfalt des Werks sei einmalig und bisher unerreicht. Die Idee zum Buch ist übrigens im Circus Helvetia geboren worden. Bei einem Gespräch mit der Direktion und Filip Vincenz sei man übereingekommen, ein Buch über die Geschichte des Circus in der Schweiz zu realisieren.

Die französische Ausgabe des Buches, zu dem Eugène Chaplin das Vorwort verfasste, kann in jeder Buchhandlung bezogen oder direkt beim Verlag Château & Attinger, Orbe (www.editions-chateau-attinger.ch) bestellt werden.
Auch die deutsche Ausgabe ist im Buchhandel und beim Autor Filip Vincenz weiterhin erhältlich. Übrigens verfügt das Buch über QR-Codes, über die man Zugang zu seltenen Circusfilmen erhält.

Text und Bild: Alfred Reichle