100 000 Quadratmeter Wohlfühloase – Impressionen vom Tier-Erlebnispark Bell

Nach der langen Anreise wählen wir einen Umweg zur Tiger-Arena. Schrille Laute. Ein stattlicher Milchuhu. Die nachtaktive Eule ist hellwach. Vermutlich wird sie später dem anwesenden Brautpaar die Eheringe überbringen. Der passende Gag für ein Trauungsritual unter der alten Eiche des Parks. Drollige Waschbären auf der Wiese. Der Rest der Gruppe mit den artspezifischen Ringelschwänzen präsentiert sich als geübte Kletterer. Ein Emu, der als flugunfähiger Laufvogel ein Tempo von 50 km/h erreichen kann, stolziert zwischen Schafen und einem schottischen Hochlandrind.
Vorbei am Pferdestall fürs Ponyreiten führt der Weg zum runden, wetterfesten Holzbau. Zu den Raubkatzen. Trotz Vorwarnung unseres circuserprobten Freundes, nicht ganz vorne zu sitzen, um keinen „Markierungsstrahl“ zu riskieren, nehmen wir auf der ersten Bankreihe Platz und bleiben verschont. Die Amur (sibirischen) Tiger zeigen der Reihe nach, was ihnen Remo Müller beigebracht hat. Der Dressuraufbau geht zurück auf gemeinsam Jahre im Walter Zoo. Im Wesen sind sie unterschiedlich. Timur gefällt die Rolle des bequemen Paschas. Zu seinem Repertoire gehört das Hochsteigen am Gitter, was seine Körperlänge von nahezu drei Metern wirkungsvoll zur Geltung bringt. Tatinka ist eine etwas launige Diva. Als Kleinste hat sie sich stets gegen die anderen Tiger durchsetzen müssen und sich angewöhnt, öfter mal die Zähne zu zeigen, um sich Respekt zu verschaffen. Bei Rani ist der dominante Spieltrieb aufgefallen. Eine gute Basis fürs Einbeziehen bei der Beschäftigung.
     
Als unerwartete Überraschung wird ein Stubenkater in die Manege gereicht. Timon, hübsch getigertes Fell mit weissen Flecken. Auch er liebt seinen Trainer, charmiert ihn für Streicheleinheiten. Springt elegant von Postament zu Postament. Läuft über einen Balken, anschliessend im Slalom um das menschliche Beinpaar. Leicht nimmt er es bezüglich Sprungkraft mit seinen grossen wilden Verwandten auf. Das gelehrige Büsi stammt aus einem Tierheim in Koblenz. Nach Schliessung des Parks hat es die ganze Nacht freien Ausgang. 100000 m2 für spannende Streifzüge. Ein Katzenparadies!
Hinter den Kulissen der Halle kündigt lautes Bellen den Auftritt von Hunden an. Vorwiegend Mischlinge aus Tierheimen gehen mit freudigem Eifer an ihre individuell angepassten Aufgaben. Für 17 Uhr steht „Schuppen und Federn“ auf dem Programm. Farbenprächtige Aras, Kongopapageien und Wellensittichen scheint es richtig Spass zu machen, über unseren Köpfen ihre Runden im Freiflug zu drehen. Der Schweizer Tierlehrer arbeitet gern mit seinen Gelbbrustaras, die ihn mit ihrer Intelligenz stets neu herausfordern. Eine Eigenschaft, die weniger auf die Reptilien zutrifft. Remo macht die Runde mit einer ungiftigen Kornnatter, hält sie dem Publikum zum Anfassen hin. Im Gegensatz zur Schlange fühlt sich der Körper des mit Stacheln ausgerüsteten Bartagams recht rau an. Er lässt sich gern auf Remos Arm herumtragen. Die Körperwärme des Menschen wird als angenehm empfunden.
     
Hinter dem Projekt Bell steht ein kleines Familienunternehmen, das sich mit Herzblut dieser riesigen Wohlfühloase für Tier und Mensch verschrieben hat. Die Leitung obliegt Remo Müller, erfolgreicher Koch (nach Lehrabschluss Auszeichnung als bester Jungkoch der Schweiz) und ausgebildeter Tierpfleger. Tatkräftige Unterstützung erhält er von seiner Frau Alexandra und ihren Eltern Petra und Peter Taetz. Alexandra Taetz hat in Finnland den Umgang mit Schlittenhunden erlernt und Tierpsychologie studiert. Die sanftmütigen nordischen Hunde sind alle aus zweiter Hand. Neben den exotischen tierischen Stars erfreuen sich gerade Kinder auch an Frettchen, den niedlichen Mardertierchen, oder an Minischweinen, Laufenten, Riesenkaninchen und Kattas. Für letztere ist kürzlich ein begehbarer Affenwald eingerichtet worden, für den der berühmte Raubtierlehrer Martin Lacey jr. durch seinen Lacey Fund finanzielle Unterstützung zukommen liess. Mit seinem Verein setzt er sich für die Verbesserung von Haltungsbedingungen ein und plädiert für das regelmässige Training, um das Wohlbefinden der Tiere in menschlicher Obhut zu steigern.
   
Das naturbelassene Parkgelände mit seinem uralten Baumbestand und den sanften Hügeln bietet das ideale Umfeld. Mit pädagogischem Geschick kommentiert Remo Müller seine Beschäftigungsvarianten. Informiert dabei über das Habitat und die natürlichen Bedürfnisse der einzelnen Tierarten. Lässt, oft mit Humor gewürzt, Erfahrungsmuster einfliessen. Sein ursprüngliches Berufsziel war der Auftritt mit Tieren in der Manege. Die Inspiration lieferte die Ankunft des Circus Knie während seiner Schulzeit. An diesem Tag durfte er am frühen Morgen mit seinem Vater vom Wohnort Grabs nach Buchs fahren, um beim Führen der Ponys zum Spielplatz mitzuhelfen. Als Erwachsener durfte er erstmals mit Tieren bei René Strickler arbeiten und jungen Pumas das Circus-ABC beibringen. Für den entscheidenden Durchbruch als Tierlehrer sorgten dann die Tiger im Walter Zoo. Jetzt bietet ihm der Tier-Erlebnispark ein extrem grosses Experimentierfeld, um seinen Bubentraum auch ohne Circuszelt zu verwirklichen.

Text: Elsie Streiff