Saisonauftakt Circus Knie

Kaum war die vergangene Saison, die bis in den Januar hinein dauerte, zu Ende, hiess es schon wieder Manege frei. Im Unterschied zu den vergangenen Jahren schmückt sich der Schweizer National-Circus für einmal ganz ohne Headliner. Doch auch sonst hat sich einiges verändert. Zum ersten Mal seit über 100 Jahren reist Knie vor allem aus Kostengründen nicht mehr mit der Bahn. Die konsequente Umstellung auf den Strassentransport ist eine immense logistische Herausforderung, um die ganze Circusstadt während den nächsten 10 Monaten 24 Mal zu verschieben. Umso mehr erstaunt es, dass Knie immer noch ein- und zweitägige Gastspiele im Tournéeplan ausweist.

Auch im Bereich der Showeffekte erlebt das Publikum neue Elemente. Viele mögen sich an die aufwändigen Wasserpantomimen "Circus unter Wasser" erinnern. 1989 letztmals bei Knie wurde die Manege mit riesigen Wassermengen geflutet. Viele Fontänen und Wasserspiele, kombiniert mit Unterwasserscheinwerfern, bezauberten. Heute sind diese Wassermassen nicht mehr nötig. Vielmehr sind an einem Ring in der Zeltkuppel Wasserdüsen angebracht. Sie erzeugen einen feinen Wasserfilm, der nicht nur verschiedene Muster erzeugen, sondern auch in Lichtfarben getaucht werden kann. Das Wasser wird durch die darunter liegende, fahr- und klappbare Bühne, ein Ungetüm voller Technik, abgeführt. Wiederum scheute Maycol Errani mit seinem Team keinen Aufwand, um neue Elemente der Showtechnik im Circusprogramm zu integrieren. Jeka Dehtiarov am Cyr Wheel – ganz in Silber – wird effektvoll von diesem Wasserregen unterstützt. Auch die Luftnummer von Ekaterina und Oksana Errani mit Tatyana Bitkine erfährt durch die Wassereffekte eine Aufwertung. Schliesslich macht sich auch Kateryna Korneva an der Flying Pole diese Showtechnik zunutze.

Drei CVA-Sonderpreisgewinner in der Manege des Circus Knie

Auch wenn Knie in diesem Jahr auf einen Headliner verzichtet, zieht "Erwin aus der Schweiz" den roten Faden durchs Programm. Der Comedian und Magier Marc Haller entspricht dem Bild des überkorrekten und etwas schüchternen Bünzlis. 2015 zeichnete ihn der CVA am Young Stage Basel mit dem Sonderpreis aus. Seine feine Komik kommt auch beim grossem Publikum an. Ein weiterer CVA-Sonderpreis ging 2019 an das aus Kuba stammende Hand-auf-Hand Duo "Dust in the Wind". Julio Fajardo und Maite Ramirez haben seither ihre Kunst verfeinert, führen mittlerweile das Kopf-auf-Kopf ohne Vorteil aus, wurden im Januar 2023 ans Internationale Circusfestival nach Monte-Carlo eingeladen und stehen bis zur Sommerpause in der prestigeträchtigen Manege des Circus Knie. Anschliessend geht es in die USA, wo die Beiden mit ihrem Act den Neustart von Ringling Bros. and Barnum & Bailey unterstützen. Und schliesslich verlieh der CVA am diesjährigen Internationalen Circusfestival in Monte-Carlo den Sonderpreis der Truppe Bingo. Auch im diesjährigen Knie-Programm sprühen die Artisten mit ihren energiegeladenen Tanzchoreografien und Einzel-Acts vor Lebensfreude, die sich ins Publikum überträgt. Als eigenständigen Teil der Truppe Bingo sind die "Five Boys" (an der Première zu viert) an den doppelten chinesischen Masten zu sehen.

Grosse Artistentruppen

Mit der 13-köpfigen Truppe Zola nahm Knie auch wieder eine grosse Artistentruppe unter Vertrag. Ihre raumfüllende Darbietung am Schleuderbrett - garniert mit zeitgemässen Moves - ist spektakulär. Ein mongolisches Artistenquartett ist zudem in einer atemberaubenden Kontorsion zu erleben. Etwas lauter geht es zu und her, wenn 10 Motorräder gleichzeitig mit rund 70 km/h ihre Runden im Globe of Speed drehen. Etwas klimafreundlicher ist das kolumbianische Team rund um Juan Carlos Ordoñez unterwegs. Auf BMX-Rädern zeigt es seine Kunst in zwei Halfpipes. Auch wenn es sich hierbei weniger um traditionelles Artistenhandwerk handelt, ist es trotzdem sehenswert und erfrischend. Gleiches gilt für die Truppe "Extreme Light", die in LED-Kostümen farbige Akzente setzen.

Pferde- und Reitkunst auf höchstem Niveau

Trotz der vielen Showtechnik kommen auch die Freunde der klassischen Pferde- und Reitkunst auf ihre Rechnung. In Begleitung der Truppe Bingo reitet die zehnjährige Chanel Knie eine anspruchsvolle Hohe Schule. Ivan Frédéric Knie zeigt mit seinem Halbbruder Maycol jun. ein Gross und Klein, bevor Ivan Frédéric das 2020 in Monte-Carlo preisgekrönte Karussell Pferden souverän ruhig aber bestimmt dirigiert. Eine Augenweide par excellence und der Inbegriff höchster Dressurkunst.

Mit den Water Curtains und dem Programmkonzept 2023 haben Geràldine Knie, Maycol Errani und Doris Knie ihr Showkonzept weiterentwickelt. Teils harte Beats im Wechsel mit weichen Klängen, sowie dröhnende Motoren im Kontrast zu fast lautloser Pferdedressur und Artistik. Mit dieser ausgewogenen Mischung bietet Knie authentische Circusunterhaltung auf Top-Niveau. Stillstand ist Rückschritt. Knie's Chapiteau ist ausverkauft. Standing Ovations. Bravo, nichts falsch gemacht. Was will man mehr?

(Filip Vincenz)

Fotos: Katja Stuppia, Maria Leban