4. Artistika in Visp

Am 5. März 2016 wurde zum vierten Mal das Festival namens ARTISTIKA in Visp durchgeführt. Der Anlass ist äusserst professionell organisiert und die präsentierten Darbietungen sind alle artistisch auf sehr hohem Niveau angesiedelt.

Die  Initianten und Organisatoren des Festivals, Karim Habli und Olivier Imboden, stecken sehr viel Herzblut und Idealismus in ihr Festival. Karim Habli betont in unserem Gespräch, dass sie keinesfalls als Konkurrenz zu Circusunternehmen oder zu anderen Festivals auftreten wollen. Ganz im Gegenteil, mit ihrem Event wollen sie auf ihre Art die Artistik und ihre Protagonisten ehren und darstellen. Damit geben sie dem Publikum die Gelegenheit, hochstehende Artistik ausserhalb einer Manege zu erleben. Gespielt wird im Visper Kulturzentrum „La Poste“. Das Gebäude mutet von aussen recht modern an und erstaunt erfahre ich dann, dass dieses Kongress- und Kultur-Zentrum bereits vor 25 Jahren erbaut wurde und rund 580 Zuschauer fasst. Das Festival findet mit seiner Haupt-Show nur an einem Abend statt. Eine zusätzliche Show wird am Sonntagnachmittag für Kids gezeigt.

Da in einem Theater gespielt wird, ist auch die Infrastruktur etwas anders als in einem Chapiteau. Das Bühnen-Team wird stets wieder vor neue Herausforderungen gestellt. So in diesem Jahr z.B. bei der Absegelung des „Chinesischen Mastes“, weil keine Verankerungen vorhanden waren und in die Bühne keine solche Anker eingelassen werden konnten.

Organisatoren des Festivals
Karim Habli ist ausgebildeter Schauspieler und hat schon mit sehr vielen bekannten Artisten zusammengearbeitet, hat verschiedenste Events organisiert und durchgeführt. Er ist im Show-Business stark verwurzelt, kennt sich sehr gut aus und hat weltweit beste Verbindungen und Kontakte. Auch der zweite Organisator ist kein unbeschriebenes Blatt in der Szene. Olivier Imboden ist u.a. Medien-Chef beim jährlich stattfindenden Open Air in Gampel und kann so auch seine Kontakte für die Artistika spielen lassen. Zusammen balancieren sie auf dem finanziellen Hochseil einen schwierigen Akt. Bei einem, für einen Anlass dieses Ausmasses, eher bescheidenen Budget, ist es ihnen offenbar gelungen, immer genügend Sponsoren und Gönner zu finden und damit die Artistika zu finanzieren. Als Hauptsponsoren treten die Gemeinde Visp und die Baloise Versicherung auf und garantieren damit das Fundament des Anlasses. Etwas mehr Entgegenkommen seitens Tourismus-Büro und dem Schweizer Fernsehen wären hingegen sehr willkommen.

Das Publikum wurde von Nina Burri und Karim Habli kompetent und charmant durch den Abend begleitet.

Warm Up und Rahmenprogramm
So quasi als Warm Up sieht man vor dem eigentlichen Beginn des Abends Franziska Truffer (Ehefrau von Karim Habli) und Karim Habli bei den Vorbereitungen zum Aufbruch. Franziska Truffer – ebenfalls ausgebildete Schauspielerin – weiss nicht, welches Kleid sie anziehen soll, fragt ihren Gatten, ob sie nun das grüne oder das bereits angezogene Kleid wählen solle. Der Sketch ist von keinem geringeren als Loriot geschrieben und Loriot-Freunden bestens vertraut. Die zwei spielen die Szene glaubwürdig und ernten dafür die ersten Lacher des Abends und viel Applaus.

Nach diesem Warm Up kann der Abend mit den Artisten beginnen. Eine Besonderheit der Artistika ist, dass im Wettbewerb ausschliesslich akrobatische, artistische Darbietungen gezeigt werden. Also keine Clowns, keine Jongleure, keine Magier im Wettbewerb auftreten. Auf diese Genres muss aber keineswegs verzichtet werden. In den Abend eingeflochten ist ein „Rahmenprogramm“ und da hat es für alle Disziplinen Platz. Monsieur Grand und Clown Pepe (Lucas Cadonau und Pepe) vom Circus Balloni unterhalten die Zuschauer bereits im Foyer vor dem Auftritt und zeigen dann während des Rahmenprogramms Ausschnitte aus der Balloni-Produktion. Ebenfalls im Rahmenprogramm ist Vanessa Lee mit einer sehr schönen und unterhaltsamen Hutjonglage, kombiniert mit Antipoden-Tricks.

Fachjury
Eine weitere Spezialität des Festivals ist die Jury. Dieses Gremium kann nicht nur die auftretenden Kandidaten bewerten, sondern muss sich auch auf der Bühne beweisen. Mit ihrer Arbeit zeigen sie dem Publikum, weshalb sie in der Jury sitzen. In diesem Jahr setzte sich die Jury zusammen aus:
Andreas Wessels, ein äusserst innovativer, spezieller Jongleur. Er wirft als Schluss-Trick ein brennendes Streichholz hinter seinem Rücken durch in seinen Mund und zündet damit die bereits im Mund steckende Zigarette an: Wirklich ein schräger, noch nie gesehener Jongleur-Act. Köstlich und immer wieder gerne gesehen das ist Duo Full House. Sie begeistern durch ihren Wortwitz und das auf einzigartige Weise gespielte Piano. Henry, am Boden auf dem Rücken liegend, spielt fehlerfrei und seine Frau Gaby unterstützt ihn in seiner Arbeit. Jon Young hat bereits am Youth Circus Festival Wiesbaden 2010 begeistert und damals die bronzene Auszeichnung für seine Arbeit erhalten. In der Zwischenzeit ist die Nummer noch reifer geworden. Somit bestand die Jury 2016 aus den vier erwähnten Personen. Ihre Aufgabe war nicht ganz einfach. Aus sechs Darbietungen hatten sie drei auszuwählen und mit den Preisen auszuzeichnen.

Lebenswerk
Ein besonderer Programmpunkt ist jeweils auch die Ehrung von Artisten für ihr Lebenswerk. Für 2016 waren die Skating Willers (Wanda & Jean Pierre) vorgesehen. Als das Duo die Nachricht bezüglich der geplanten Ehrung erhielt, war schon geplant, die Karriere per Ende Juni 2015 zu beenden. Da die Ehrung mit dem Auftritt an der Artistika verbunden ist, wollte das Duo zuerst absagen. Entschloss sich dann, ihre Karriere um ein Jahr zu verlängern und den letzten Auftritt an der Artistika 2016 in Visp zu bestreiten. Oft durchkreuzt das Schicksal geschmiedete Pläne. So auch diesmal. Zwei Wochen nach dem geplanten Karrieren-Ende – also Mitte Juli 2015 – verletzte sich Wanda am Fuss und an die Fortsetzung des Duos war nicht mehr zu denken. Inzwischen gehen Wanda und Jean Pierre auch privat separate Wege. Damit dennoch die Skating Willers würdig in Visp präsent sein konnten, hat Jean Pierre zusammen mit seinem Sohn und dessen Partnerin die Rollschuh-Nummer einstudiert. Jean Pierre bestritt deshalb am 5.3.2016 in Visp seinen allerletzten Auftritt als „Skating Willer“. Die Ehrung war dann auch ein ganz spezieller und sehr emotionaler Moment für die Artisten, für Karim Habli  (langjähriger Freund der Skating Willers) und auch für das Publikum.
 
 
Pate für das Festival 2016
Eine weitere Eigenheit des Festivals ist die Patenschaft eines bekannten Künstlers. Für dieses Jahr konnte der Ausnahme-Magier Florian Zimmer engagiert werden. Der junge deutsche Nachwuchs-Magier ist als Shootingstar international bekannt und Gewinner des amerikanischen Preises  „Golden Lion Award“, welchen er im Alter von 25 Jahren aus den Händen der Star-Magier Siegfried und Roy entgegennehmen durfte. In seiner gezeigten Kurz-Show lässt er Spray Dosen verschwinden oder Feuer speien. Zum Schluss lässt er aus einem flachen Karton ein ganzes BMX-Fahrrad erscheinen.

Wettbewerb und Gewinner 2016
Zum Wettbewerb werden jedes Jahr sechs Darbietungen zugelassen. In diesem Jahr eröffnete Mareike Koch aus Bremen an den Strapaten den Wettbewerbsteil. Ihre Arbeit besticht durch ihre Technik und den wechselnden Rhythmus zwischen Bodenarbeit und Tricks an ihrem Requisit. Ganz unauffällig und beiläufig hat sie sogar eine Klischnigger-Übung in den Ablauf eingefügt; eine von Frauen eher selten gezeigte Kautschuk-Art. Trotz der poetischen und technisch hochstehenden Arbeit gehörte Koch nicht zu den Preisträgern der Artistka 2016.

Ebenfalls ohne Auszeichnung blieb das Trapez-Duo Oliver and Megan. Oliver, ursprünglich Doktor der Chemie, arbeitet noch nicht lange mit seiner Partnerin Megan zusammen. Ihre Arbeit bietet interessante Trickfolgen, Nervenkitzel und ist sehr ästhetisch und modern gestaltet.

Der dritte im Bunde ohne Hauptpreis ist der Handstand-Equilibrist Andrey Katkov. Er kombiniert seine Handstand-Equilibristik mit Kontorsion und erschwerend dazu, mit einer drehenden Scheibe. Der Antrieb der Scheibe ist nicht elektrisch, sondern basiert ausschliesslich auf den Gesetzen der Fliehkraft und die Rotation wird durch den Artisten selbst erzeugt. Eine sicher spezielle und auch preiswürdige Darbietung, mit vielen Lichteffekten angereichert und unterhaltsam.

Die Hand-auf-Hand Artisten Chris und Iris sind den Schweizer Circusfreunden vom Nachwuchs-Festival Young Stage Basel 2011 und vor allem der Monti-Tournee 2012 ein Begriff. Sie verzichten beim Auftritt auf musikalische Begleitung und sprechen selber zum Publikum. Die gezeigten Hand-auf-Hand-Tricks sind von höchster Güte und lassen keine Unachtsamkeit oder Unkonzentriertheit zu. Verdientermassen erhielten sie deshalb an der Artistika den Zuschauerpreis und zudem den Hauptpreis – eine schöne Bronce-Statue in Form einer Tuchartistin mit gestrecktem Körper, gestaltet vom Künstler Benjamin Georgeaud. Der erste Preis ist dotiert mit Fr 5000.

Der zweite Preis – ebenfalls die gleiche Bronce-Statue, dotiert mit Fr 3000 – ging an die vierköpfige Flugakrobatik-Gruppe „Crazy Flight“. Die vier Männer stammen aus der Ukraine und die gezeigte Nummer wurde 2002 kreiert. Kraftvolle Sprünge, völlige Körperbeherrschung und Eleganz runden die Arbeit ab.

Anastasia Mazur aus Kiew zelebriert eine aussergewöhnliche Kontorsion.  Selbst die Moderatorin Nina Burri lobte die junge Kontorsionistin in den höchsten Tönen. Und wer die Darbietung gesehen hat, zweifelt wirklich daran, ob die Frau überhaupt Knochen in sich trägt. Während eines Kontorsion-Tricks verbiegt sich die Artistin zusätzlich in der Längsachse. Trotz allem kommt das Gezeigt leicht und unverkrampft beim Publikum an. Sie erhält von der Jury die dritte Statue, dotiert mit Fr 1500, zugesprochen.
Mit der Sieger-Ehrung endet die vierte Artistika VISP und wir freuen uns bereits auf den 18. März 2017 – dann findet nämlich das kleine Jubiläum, die fünfte Artistika, statt. Ab Bern ist man mit dem neuen Lötschbergtunnel per Bahn in rund einer Stunde in Visp und der Anlass ist vom Bahnhof aus in maximal fünf Minuten erreichbar. Eine Reise nach Visp lohnt sich – und ein spezieller Genuss ist garantiert.
        
Text und Fotos: Alfred Reichle