Monti 2016

Urbanartistik könnte der circensische Fachbegriff  etwa lauten für die Elemente, mit welchen das Duo Full House mit Gaby und Henry Camus das diesjährige Programm „Downtown Monti“ kreierten. Am Freitag, 5. August 2016 präsentierte der Circus Monti dieses in Wohlen bei der Eröffnung der wiederum verkürzten Saison.  
 
Mit Herz gewinnender Unbedarftheit gerät die weiss gekleidete Giulietta (Urana Marchesini aus Italien) in die Geschäftigkeit einer verrückten Stadt. Die Begegnung mit bewundernswerten Leuten lässt ihr Dasein immer abenteuerlicher und bunter werden.  Die ungewöhnliche Metropole ist voller überragender Talente – und so ist auch Montis Realität im Chapiteau-Zentrum. Ein Ensemble von 20 Artisten und Musikern aus acht Nationen lassen einen im Nu der Bevölkerung dieser pulsierenden Stadt zugehörig werden und mit dem erstmaligen Weglassen der Manegenpiste wird der Bezug zwischen den Künstlern und dem Publikum schrankenlos. Mit Feingefühl für kleine und grosse Effekte verleiht der Westschweizer Choreograph Pierre-Amar Lissner insbesondere den turbulenten Gruppenauftritten eine besondere persönliche Note.   
Von künstlerischer Urbanität sind auch die Einzeldarbietungen. Städtische Alltagsszenen verdichten sich zu Events mit kühner Akrobatik und wundervoller Ironie. Der clowneske männliche Counterpart von Giulietta – ein Stadtoriginal dargestellt durch den italienischen Komiker Edoardo Mirabella – stützt sich mitunter mit seinem Gehstock in der Luft ab, um auf seinem hohen Einrad vorwärts zu kommen.  
 
Der vorwiegend vertikalen Entwicklung vieler Grossstädte gleich tut es der Kanadier David Ayotte am Chinesischen Mast. Ein besonderer Augenschmaus sind auch die kompakten und präzisen Tricks am Trapez, geschwungen durch das Duo von Lindsay Culbert-Olds und Kia Eastman aus den USA. Deren Landsmann Ezra Weill verschafft der „Bevölkerung“ unter ihm ein ganz besonderes Erlebnis mit einer Kombination von Hut-Jonglage und Akrobatik am Vertikalseil. Direkt verwandt mit städitscher Strassenkunst ist die groovige Jonglage des Ukrainers Artem Halai. Mit Handstand und Flamenco pfeffert der Spanier Antonio Vargas Montiel Stimmung ins Stadtzentrum und Mélodie Lamoureux aus Kanada lässt mit urbanem Drive Hula Hoop Ringe um sich tanzen. Jean-Baptiste André (Frankreich) und Robin Leo (Belgien) benutzen ihr Roue Cyr gemeinsam als „Downtown-Transportmittel“, und dies mit so unbeschreiblicher Leichtigkeit, dass sogar noch Giulietta mitreiten kann.  Ein fulminantes Finale an der Hausfassade bietet die Trampolinartistik der drei kanadischen Mitglieder des Spicy Circus, Hélène Leblanc, Samuel Aubert und Alexandre Saint-Jacques.
 
Herausragend – und eben auch Monti-tpyisch – ist die bis auf den letzten Ton und Beat massgeschneiderte Musik mit Referenzen aus verschiedenen Stilrichtungen. Monti hat dazu den talentierten, vielseitigen und nach drei erfolgreichen Programmen des Circus Starlight zudem Circus-erfahrenen Schweizer Komponisten Thierry Epiney verpflichtet. Interpretiert werden seine Kreationen durch das langjährig beim Circus Monti engagierte sechs-köpfige polnische Orchester unter der Leitung von Kapellmeister Piotr Gunia. Dem baulichen Anspruch einer Grossstadt entsprechend wurde das Bühnenbild durch den Zürcher Architekten ETH Tobias Eugster entworfen und zusammen mit dem Monti-Werkstattteam umgesetzt. Zum zweiten Mal hatte Olivia Grandy aus Zürich die Leitung für die Gestaltung der Kostüme. Als langjähriges Mitglied des Monti-Kreativteams rückt Christoph Siegenthaler die Szenerie ins richtige Licht.
 
Ja, man hätte noch unendlich lange sitzen bleiben und dem städtischen Treiben zuschauen können. Langer und starker Applaus mit Standing Ovation brachten die Begeisterung des Premiere-Publikums zum Ausdruck. Circusdirektor Johannes Muntwyler – dieses Jahr wirkt niemand der Familie auf der Bühne mit – bedankte sich herzlich und durfte einmal mehr eine grossartige Leistung seines Teams zum Saison-Auftakt würdigen. Downtown Monti – let’s go!

Text: Simon Tschurr, Fotos: Barbara Bamberger